München International, am 31.5.2024
Liebe Genoss*innen, liebe Freund*innen, liebe Kompliz*innen,
Wir haben uns als München International bisher nicht zu den aktuellen Massakern und Kriegsverbrechen in Israel und Palästina geäußert. Wir wissen, wir hätten uns früher positionieren müssen. Wir sehen berechtigte Kritik an dem Schweigen und der Lähmung von großen Teilen der weißen Linken in Deutschland und nehmen uns diese Kritik zu Herzen.
In unserer Gruppe sind die Mehrheit weiß und deutsch, deshalb tragen wir eine besondere Verantwortung für die Geschichte und Rolle Deutschlands in globalen Macht- und Herrschaftssytemen. Wir müssen Verantwortung übernehmen für internalisierte, sowie strukturelle Antisemitismen und Rassismen. Dieser Text ist besonders an weiße, deutsche linke Menschen und Gruppen adressiert.
Wir wollen uns in diesem Text auf zwei Aspekte des Kriegs in Israel und Palästina fokussieren. Erstens, die Lage in Deutschland und die Rolle Deutschlands in diesem Krieg.
Zweitens: Wie weiter? Was ist eine tatsächlich fortschrittliche Perspektive?
Für die zahlreichen anderen Aspekte, die diesen Krieg ausmachen, die wir in diesem Text nicht behandeln, schließen wir uns in Vielem dem Statement der IL Berlin an.
Wir sind uns auch bewusst, dass diese Zeiten unglaublich schwierig sind: Sowohl linke als auch mainstream mediale Diskurse sind geprägt von Gut-Böse Denken. Die krasse Repression von palästina-solidarischen Protesten, rassistische und anti-muslimische Hetze, sowie antisemitische Angriffe halten an, vertiefen die Gräben und erzeugen große Verletzungen.
Wie ist die Lage in Deutschland und die Rolle Deutschlands in diesem Krieg?
Wie sind die Reaktionen in Deutschland auf den Genozid in Gaza? Viele Menschen in Deutschland haben Angehörige in Gaza. Viele unter ihnen gehen auf die Straße um ein Ende des Genozids, um palästinensische Selbstbestimmung in Gaza und der Westbank zu fordern. Zahlreiche solidarische Menschen und Gruppen haben sich längst diesen Protesten angeschlossen.
Am 17.10.23 verkündete Olaf Scholz: „Die Sicherheit Israels ist Staatsräson.“ Die deutsche Regierung setzt ihre Staatsräson in der Praxis um, indem sie weiter Waffenlieferungen zulässt und somit das Handeln der israelischen Regierung und des Militärs nicht nur legitimiert, sondern auch unterstützt.
Den palästina-solidarischen Protesten wird in Deutschland, aber auch unter anderem in den Niederlanden oder der USA mit massiver Polizeigewalt begegnet. Die Demonstrationsfreiheit wurde und wird massiv eingeschränkt. Begleitet wird das von rassistischer und antimuslimischer Hetze, quer durch die deutsche Medienlandschaft hindurch.
Die geschaffene rassistische Stimmung wird von regierenden Parteien für rassistische Politik genutzt. In diesem politischen Klima redet Kanzler Scholz von Abschiebungen im großen Stil und Angriffe auf migrantische Selbstorganisationen finden als Teil dieser Politik statt.
Gleichzeitig nehmen antisemitische Übergriffe auch in Europa zu. Das Massaker der Hamas am 7. Oktober bestätigte Antisemit*innen auf der ganzen Welt. Das bekommen jüdische Menschen auch in Deutschland zu spüren; Antisemitismus ist in der deutschen Gesellschaft tief verankert.
Gleichzeitig versuchen rechte Kräfte, sowie Teile der Regierung, diese Tatsache zu verschleiern, indem sie ‚die muslimische Gesellschaft‘ in Deutschland für den Antisemitismus verantwortlich machen. Tatsächlich versuchen islamistische Kräfte in Deutschland den Genozid in Gaza für ihre antisemitische und reaktionäre Agenda zu nutzen.
Der Fall Aiwanger zeigt jedoch, wie unehrlich, ekelhaft und falsch die Lüge vom importierten Antisemitismus ist. So entziehen sich Politiker*innen, Regierung, Medien und Gesellschaft ihrer Verantwortung und einer tatsächlichen Aufarbeitung der deutschen Geschichte; es werden die existierenden Gräben zwischen den jüdischen und muslimischen Communities, sowie der ‚Mehrheitsgesellschaft‘ in Deutschland weiter vertieft.
Mit der impliziten Gleichsetzung der Interessen jüdischer Menschen mit denen des israelischen Staats, steht nicht die Solidarität mit jüdischen Menschen im Vordergrund, sondern ist die Unterstützung Israels Staatsräson in Deutschland. Die Diskussionen um Abschiebungen von Israelkritiker*innen sollen zeigen: „In der deutschen Kultur hat Antisemitismus keinen Platz“. Der neue deutsche Nationalismus kann auch dadurch immer stärker Fuß fassen, er wird immer aggressiver ausgelebt.
Als in Deutschland lebende Menschen sehen wir es als notwendig an, uns gegen diese Entwicklung zu stellen. Wir dürfen nicht zulassen, dass die misslungene Aufarbeitung der Verbrechen und das immer noch bestehende Erbe des NS-Faschismus ignoriert werden, und die Erinnerung an die Schoah für die Spaltung der Gesellschaft genutzt wird.
Der Status Quo ist grausam. Die rechte israelische Regierung und die djihadistische-islamistische Hamas stehen sich unversöhnlich gegenüber. Die israelische, wie auch die palästinensische Zivilbevölkerung ist auf beiden Seiten Opfer dieses Krieges. Dennoch ist „der Krieg in Israel und Palästina [] kein symmetrischer“ (Quelle:
Statement IL Berlin). Weder Hamas noch die nationale Regierung Israels kann aus unserer Sicht Ansprechpartner*in oder gar Verbündete für uns sein, wenn tatsächlich langfristig Frieden herrschen soll. Sie verfolgen aus ihrer jeweils eigenen nationalistischen Ideologie heraus, Ziele der Herrschenden: Macht, Kapital, geopolitischen Einfluss. Es ist klar, dass unsere Position nie auf der Seite der Mächtigen stehen kann, sondern immer an der Seite der unterdrückten und von Gewalt betroffenen Zivilbevölkerung.
Wie also weiter? Was ist eine tatsächlich fortschrittliche Perspektive? Wie kann ein friedliches Miteinander und eine befreite Gesellschaft aussehen?
Wir haben keine (einfache) Antwort darauf. Selbst eine Zwei-Staaten-Lösung ist aus unserer Sicht nur eine Scheinlösung und äußerst komplex in ihrer Umsetzung. Solange die Hamas in Palästina das Sagen hat, kann die palästinensische Bevölkerung nicht frei sein. Solange der israelische Staat weiter mit rechtsradikalen Siedler*innen daran arbeitet, im Westjordanland die palästinensiche Bevölkerung zu vertreiben, sowie die Proteste im eigenen Land unterdrückt, ist das kein Fortschritt. Insofern kann eine Zwei-Staaten-Lösung, wenn überhaupt, nur ein Zwischenschritt sein. Die letzten 70 Jahre zeigen vor allem eines: Die aktuelle Herangehensweise an eine politische Lösung in Israel und Palästina scheitert.
Die Struktur von kapitalistischen Nationalstaaten, die in ihrer historischen Entstehung auf Gewaltsystemen auf rassistischem und patriachalen Ausschluss aufbauen, führen unvermeidlich zu Kriegen und können in letzter Konsequenz auch im Genozid enden.
Gleichzeitig existieren progressive Gesellschaftsentwürfe, die auch schon umgesetzt werden. Das Beispiel Rojava zeigt, dass das Zusammenleben und die gemeinsame Organisierung verschiedener Bevölkerungsgruppen möglich ist – hier getragen von der Vision des demokatischen Konföderalismus. Nur ein Ansatz der über den Nationalstaat hinaus geht und in dem die Menschen über ihr eigenes Leben bestimmen können, kann zu einer echten, langfristigen Befreiung führen. Solange aber die Interessen von Kapital, Religion sowie dem Nationalstaat und ihrer Repräsentant*innen über den Interessen der Bevölkerung stehen, ist ein solcher Frieden nicht möglich.
Wir wissen, dass bis zu einer befreiten Gesellschaft noch ein weiter Weg zu gehen ist.
Krieg ist grausam, zerstörerisch und hinterlässt noch Generationen später Traumata und Wunden. Sei es in der israelischen wie auch in der palästinensischen Gesellschaft – beide tragen tiefe Wunden der Zerstörung, Entwurzelung, des Genozids und der Risse in Familien und Generationen. Sie werden durch diesen Krieg noch viele weitere Wunden erleiden.
Es ist unsere Verantwortung gegen Rechtsextremismus auf die Straße zu gehen und das Erstarken der rechten Parteien und Gruppen in Deutschland aktiv zu bekämpfen. Doch darf die Frage der eigenen historischen „Schuld“ und die nicht genügende Aufarbeitung der Geschichte niemals dazu führen, den Genozid des hochmilitarisierten Staates Israel gut zu heißen oder weiter dazu zu schweigen. Zwei Drittel der bisher ermordeten Palästinenser*innen werden als Frauen und Kinder gemeldet und der Einmarsch nach Rafah bedeutet: Noch mehr Tod, noch mehr Zerstörung und noch mehr Leid von unschuldigen Menschen.
Wir fordern: Keine weiteren Waffenlieferungen
Deutschlands nach Israel und auch in kein anderes Land, welches aus nationalistischen und kapitalistischen Gründen Bevölkerungen terrorisiert und zerstört.
Ceasefire now!
Free Palestine!